Kaba­ret­tist Andreas Thiel gibt seinen endgül­ti­gen Rück­tritt bekannt.

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Baseler Zeitung, Montag 9. Oktober 2017

Kaba­ret­tist Andreas Thiel gibt seinen endgül­ti­gen Rück­tritt bekannt.
Hier spricht er über die Gründe und die kürz­li­che Eier­at­ta­cke auf ihn.

 

Sie haben bereits vor einem Jahr Ihren Rück­tritt ange­kün­digt. Ist es diesmal definitiv?
In der Tat. Da die Spiel­pläne der Theater ein bis zwei Jahre im Voraus gemacht werden, habe ich diese Saison noch meine letzten Vorstel­lun­gen zu absol­vie­ren. Die meisten Theater haben aber die Zusam­men­ar­beit bereits vor drei Jahren eingestellt.

Inwie­fern spielt die Eier­at­ta­cke an einer SVP-Veranstaltung eine Rolle bei dem Entscheid?
Die Eier­at­ta­cke ist eine eher origi­nelle Episode in der langen Liste von Bedro­hun­gen, Beschimp­fun­gen und physi­schen Atta­cken. Doch solche Atta­cken verfeh­len ihr Ziel nicht: Das Publi­kum kriegt Angst. Keiner kann sich einen gemüt­li­chen Unter­hal­tungs­abend mit Poli­zei­auf­ge­bot vorstellen.

Das klingt resigniert.
Einige fana­ti­sche Muslime und noch mehr into­le­rante Linke wie der Eier­wer­fer versu­chen seit drei Jahren, meine öffent­li­chen Auftritte zu verhin­dern. Vor einem Jahr entschied ich mich dazu, nachzugeben.

Fehlt es Ihnen auch an Auftrittsangeboten?
Genau. Zu den Thea­tern, welche die Zusam­men­ar­beit aufge­ge­ben haben, zählen sogar einige meiner Lieb­lings­thea­ter. Zu den Thea­tern, in welchen ich noch spielen kann, gehören das Casi­no­thea­ter Winter­thur, das Tabour­ettli in Basel, das Dioge­nes-Theater in Altstät­ten SG und La Cappella in Bern.

Wie lauten die Begrün­dun­gen von den Thea­tern, die sich abge­wen­det haben?
Einige Theater haben Angst vor Terro­ris­mus, weil ich Mord­dro­hun­gen erhal­ten habe. Andere Theater gaben dem Druck nach, der von außen auf sie ausge­übt wird. Diese Theater sagen: «Wir mögen dich und deine Satire, aber wenn dein Name im Programm­heft steht, hagel­tes Beschimp­fun­gen.» Wiederum andere lösten Verträge auf, weil sie Scha­win­skis Verleum­dun­gen glaub­ten, ich sei ein Rassist. Und die letzten fanden, ein Künst­ler, der sich gegen Subven­tio­nen ausspricht, darf nicht in Thea­tern auftre­ten, die Subven­tio­nen bezie­hen, was doppelt lustig ist, da die subven­tio­nier­ten Theater faktisch ein Thea­ter­mo­no­pol halten und behaup­ten, mit den öffent­li­chen Mitteln die Meinungs­viel­falt zu garantieren.

Sie haben tatsäch­lich oft gegen subven­tio­nier­tes Theater und Kaba­rett gewet­tert. Könnten Sie denn nicht einen Saal mieten und den Rest eben dem Markt überlassen?
Das tue ich schon längst. Aber wenn der Pöste­ler jeden Tag beim Austra­gen der Post von Post­geg­nern bespuckt wird, sucht er sich früher oder später einen anderen Job.

Haben Sie denn Publi­kum an diesen Vorstellungen?
Kommen Sie in die Vorstel­lung und zählen Sie.

Die Linken, die früher auch an Ihre Auftritte kamen, boykot­tie­ren Sie heute offenbar.
Ich weiß nicht, ob es bei Veranstaltungen von Linken eine Gesin­nungs­kon­trolle gibt. Bei mir gibt es keine. Deshalb frage ich mich, wieso es Ihnen logisch erscheint, dass die «Linken» mich boykot­tie­ren sollen?

Weil Sie nach dem «Weltwoche»-Artikel in Ungnade gefal­len sind. Sie selbst spra­chen von «Rufmord».
Falls Ihre Logik zutrifft, dann wäre das fatal für die Linken: Linke verkeh­ren nur noch mit Linken. Ich bin Libe­ra­ler und hatte immer von links bis rechts ein gut durch­misch­tes Publi­kum. Als vege­ta­ri­scher Impf­geg­ner mache ich mich auf der Bühne über Fleisch­esser lustig, kriti­siere Tier­ver­su­che, die chemi­sche Indus­trie, die Banken, die Subven­tio­nie­rung der Land­wirt­schaft usw. und habe deswe­gen aber noch nie Probleme mit irgend­wel­chen Rechten gehabt. Falls es Ihre «Linke» tatsäch­lich nicht erträgt, dass ich als Sati­ri­ker auch die Linken kriti­siere, dann habe ich Angst um Ihre «Linke». Aber wenn ich sehe, dass gewalt­be­reite linke Schlä­ger­trup­pen bereits Veranstaltungen der ETH erfolg­reich verhin­dern, nur weil ihnen ein Gast­red­ner zu wenig links ist, dann muss ich Ihnen wohl beipflichten.Die «Linke» scheint hinab­zu­sin­ken in einen Sumpf, der eigent­lich braun ist.

Vor 15 Jahren mode­rier­ten Sie in Zürich die offene Bühne «Böser Montag». Damals schwärmte das links­li­be­rale Stadt­pu­bli­kum noch von Ihnen. Welches sind Ihre Erin­ne­run­gen an diese Zeit?
Das war eine groß­ar­tige Zeit. Ich spürte die Aufbruchs­stim­mung einer ganzen Komi­ker­ge­nera­tion. Viele Akteure von damals sind heute etabliert im Showbusiness.

Kann man als Bühnen­mensch einfach so aufhö­ren –brau­chen Sie das Rampen­licht nicht?
Ich hatte20 Jahre Rampen­licht. Es können auch mal Jüngere ran. Der junge Zürcher Come­dian Hamza Raya bewegt sich auf sehr hohem Niveau und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Es braucht mich also gar nicht mehr auf der Bühne.

Letzt­lich geht Ihr Rück­tritt auf den «Weltwoche»-Artikel zurück. Würden Sie den noch­mals so schreiben?
Das war offen­sicht­lich ein prophe­ti­scher Aufsatz. Vor drei Jahren war man sich von «Blick» bis Tagi einig, dass ich völlig falsch liege. Heute liest man von «Blick» bis Tagi­ge­nau das, was ich damals in der «Welt­wo­che» schrieb. Die Wahr­heit bleibt die Wahr­heit, auch wenn man die Augen davor verschließt.

Auf wen hegen Sie den größten Groll? Thea­ter­häu­ser, Publi­kum, Medien oder Roger Schawinski?
Groll kenne ich nicht. Groll wares, der Scha­win­ski zu Fall brachte. Scha­win­ski ist über seinen eigenen Unmut gestol­pert, den er gegen mich oder sonst irgend­was hegte. Als Folge hat er in der Sendung die Conten­ance verlo­ren. Wieso sollte ich es ihm gleich­tun? Die Thea­ter­lei­ter, die Angst­ha­ben, meine Shows zu buchen, verstehe ich ebenso wie die Thea­ter­lei­ter, die nicht der glei­chen Meinung sind wie ich.

 

Andreas Thiel

Der Berner Kaba­ret­tist Andreas Thiel hört auf, er will in Zukunft Bücher und Essays schrei­ben. Die Ankün­di­gung kam nach einer Eier­at­ta­cke, die bei einem kürz­li­chen Auftritt an einem SVP-Anlass auf ihn verübt wurde. Der 46-Jährige sorgte für Aufse­hen, als er in der «Welt­wo­che» auf fünf Seiten mit dem Koran ausein­an­der­ge­setzt hatte und zum Schluss kam, dass dieser der «Kern desÜbels»sei. Das war Ende 2014. Es folgte ein TV-Inter­view mit Roger Scha­win­ski, das völlig entgleiste. Die beiden belei­dig­ten sich während einer halben Stunde gegen­sei­tig. Später sagte Scha­win­ski, dass er das Gespräch nach fünf Minuten hätte abbre­chen sollen. Gescha­det hat die Sendung, die auf der Website von SRF eine halbe Million Mal ange­klickt wurde, aber bloß Andreas Thiel. Der Träger des renom­mier­ten Kultur­prei­ses Salz­bur­ger Stier wurde immer weniger gebucht, in manchen Spiel­stät­ten wurde er zur Persona non grata ‑er, der in den Nuller­jah­ren mit dem Programm «Böser Montag» in Zürichs links­ur­ba­nen Kreisen gepunk­tet hatte. (phz)