Kabarett Geschichte DDR
Bernburg
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Kurz-Geschichte des Kabaretts
Kabarett ist nicht gleich Kabarett. Dies lässt sich heute mehr denn je an einer Vielzahl von Beispielen belegen. Eine besondere Art von Kabarett jedoch stellte das Kabarett in der DDR dar. Es entstand mit der Gründung der DDR im Oktober 1949 und beendete seine Existenz mit dem Fall der Mauer im November 1989.
All die Jahre wurde das Kabarett im Osten Deutschlands sehr unterschiedlich bewertet, je nach Standpunkt des Betrachters. Für Volker Kühn, den Kabaretthistoriker aus dem Westen, war es vorwiegend „kabarettelnder Spaß wie von einem anderen Stern“. Die DDR-Bürger dagegen liebten ihr Kabarett. Sie konnten nicht genug davon bekommen. Im Kabarett war es ihnen möglich, ohne Gefahr über die alltäglichen Mängel öffentlich herzhaft zu lachen. Als „gelernte DDR-Bürger“ verstand das Publikum die versteckten Anspielungen in den Texten sofort. Mit starkem Beifall quittierten sie die in Nebensätzen und Gesten fast unmerklich angedeuteten kritischen Pointen. Karten für das Kabarett waren überaus stark begehrt. Für die stets ausverkauften Spielstätten gab es monatelange Wartezeiten.
Doch auch für den Partei- und Staatsapparat waren die Kabaretts von nicht unwesentlicher Bedeutung. In den Anfangsjahren der DDR taten sich die Funktionäre noch schwer mit diesem der Satire verpflichteten Genre. So orientierten sie eine Zeitlang die Kabarettszene auf die aus der proletarischen Kultur der 1920er Jahre stammende, der simplen Agitation dienenden Agit-Prop-Kultur. Begriffe wie „positive Satire“ und „positive Pointe“ wurden ebenso intensiv diskutiert wie die Frage nach der Notwendigkeit von Kabarett im Sozialismus überhaupt. Schließlich gäbe es in der Sowjetunion auch kein Kabarett, so die Argumentation der Dogmatiker.
Spätestens seit der Honecker-Ära, ab Anfang der 1970er Jahre, schien die SED-Führung die für sie wichtige Funktion des Kabaretts erkannt zu haben. So beschloss das Ministerium für Kultur 1976, dass „bis 1990 jede Bezirkshauptstadt ein eigenes Kabarettensemble besitzen“ sollte, wofür die „materiell-technische Basis im Rahmen der 5-Jahrpläne“ zu schaffen sei. Wenn dieses Ziel bis zum Fall der Mauer auch nicht ganz erreicht werden konnte, so erfüllten die Programme der jetzt zahlreicher werdenden satirischen Unternehmungen die für den Machterhalt der Partei durchaus wichtige Funktion eines gut funktionierenden Ventils. Damit konnte das sich aus dem Unterschied zwischen propagiertem Ideal und der real-sozialistischen Wirklichkeit stetig wachsende „überschüssige Bewusstsein“ in der Bevölkerung ein Stück abgebaut und in Grenzen gehalten werden.
Kabarett Geschichte DDR
Volker Reinhard Kühn (*4.11.1933 in Osnabrück; †20.09.2015 in Berlin) war ein deutscher Autor, Fernseh- und Theaterregisseur sowie Filmproduzent mit dem Schwerpunkt Satire und Kabarett. Darüber hinaus war er auch literarischer Nachlassverwalter für das Werk von Wolfgang Neuss und Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland. Er galt als großer Kenner und Chronist der Kabarettgeschichte. 2013 erhielt er den Stern der Satire in Mainz, 2014 wurde er zum Ehrenmitglied der Kurt Tucholsky-Gesellschaft erhoben. Foto Klaus Benz/DKA.
In der DDR waren alle Kabaretts von Beginn an staatlich organisiert, finanziert und kontrolliert. In nahezu allen größeren Städten gab es professionell arbeitende Ensembles, die sogenannten Berufskabaretts. Sie unterstanden den Kulturabteilungen der jeweiligen Städte und waren ihnen inhaltlich wie finanziell rechenschaftspflichtig. Zum Ende der DDR gab es zwölf dieser staatlichen Kabaretts. Alle dort beschäftigten Schauspieler, Musiker, Dramaturgen, Techniker und Verwaltungsmitarbeiter besaßen eine feste Anstellung. Die Direktoren wurden nach interner Abstimmung mit der Partei von der vorgesetzten städtischen Behörde berufen. Lediglich die Autoren und Komponisten waren in ihrer Mehrzahl freiberuflich tätig.
Neben den Berufskabaretts existierte eine äußerst aktive und breitgefächerte kabarettistische Laienbewegung. Sie bestand aus mehr als vierhundert Amateurkabaretts. Je nach organisatorischer Unterstellung bezeichneten sie sich als Betriebs‑, Studenten‑, Lehrer‑, Post‑, Polizei- und Armeekabarett sowie Gruppen mit kirchlicher Anbindung. Einige der von ihrem jeweiligen „gesellschaftlichen Träger“ meist gut ausgestatteten und häufig von der Arbeit freigestellten Ensembles agierten auf hohem künstlerischem Niveau und brachten es mitunter auf mehr als einhundert Auftritte im Jahr.
Selbständig arbeitende (Einzel-)Kabarettisten waren in der DDR nicht zugelassen. Lediglich auf Betriebs- und sonstigen Veranstaltungen, wie Pressefesten, Gewerkschafts- und Parteikongressen, spielten einzelne Künstler der Berufs- und Amateurkabaretts auf Vermittlung staatlicher Organisationen auf private Rechnung („Muggen“). Diese Auftritte dienten der „kulturellen Umrahmung“ dieser Großveranstaltungen und wurden gut honoriert.
Daneben erhielten ausgewählte Kabarettisten wie auch ganze Ensembles zu bestimmten Anlässen regelmäßig gut dotierte hohe staatliche Auszeichnungen, wie Nationalpreise, Banner der Arbeit oder Vaterländische Verdienstorden, die sie dankbar und mit verschämtem Stolz entgegennahmen.
Kabarett Geschichte DDR
Alle Kabarett-Programme unterlagen in der DDR einer Zensur. Obwohl nicht als Behörde institutionalisiert, wirkte diese Zensur bereits als sogenannte „Schere im Kopf“ der Autoren. Es existierten unausgesprochene, aber allseits bekannte Tabubereiche, die teilweise in Abhängigkeit von der jeweiligen politischen Situation mal mehr, mal weniger beachtet werden mussten.
Absolut und stets tabu war jegliche Kritik an den Beschlüssen der SED, deren Persönlichkeiten und Institutionen sowie an den Einrichtungen des Sicherheitsapparates. Die Einrichtungen an der Grenze wie auch das weitgehende West-Reiseverbot durften thematisch ebenfalls nicht behandelt werden. Selbst die Rolle der westlichen DM-Mark als illegale Zweitwährung, die Intershops, die Umweltverschmutzung wie auch die Ausreiseantragswelle waren bis weit in die 1980er Jahre als Themen für Kabarettbühnen untersagt.
Die von den Autoren eingereichten Texte wurden durch die jeweilige Leitung des Kabaretts, bestehend aus Direktor, Parteisekretär und Dramaturg, auf ihre politische Machbarkeit geprüft. Je nach Risikobereitschaft der jeweiligen Personen kam es dabei zu Ergebnissen mit erstaunlicher Toleranzbreite. Die intern als machbar eingeschätzten Texte mussten bei den übergeordneten Einrichtungen von Partei und Staat vorgelegt werden. Meist konnten die Proben erst nach entsprechenden Korrekturen, Streichungen und Ergänzungen beginnen.
Vor der Generalprobe fand die sogenannte „Abnahme“ des Programms statt. Dazu erschien eine aus Funktionären verschiedener Institutionen zusammengesetzte Kommission, die teilweise durch ausgewählte Arbeiter aus Betrieben ergänzt wurde, und ließ sich das Programm vorführen. Aus den anschließenden „hilfreichen Aussprachen“ ergaben sich meist weitere Programmänderungen.
Mitunter kam es jedoch auch nach diesem aufwendigen Abnahmeprozedere zu Zensureingriffen. So mussten häufig einzelne Texte nach erfolgreicher Premiere entfernt werden. In einigen Fällen sind sogar ganze Programme nach teilweise mehr als dreißig von Publikum und Presse gefeierten Aufführungen abgesetzt worden. Davon am häufigsten betroffen waren die „Leipziger Pfeffermühle“ und die Magdeburger „Kugelblitze“. Dieser Umstand lässt sich teilweise aus dem argumentativen Geschick der Kabarettisten bei der Verteidigung ihrer Texte erklären wie auch aus der mitunter „ideologischen Großzügigkeit“ einzelner regionaler Funktionäre. Die Eingriffe in bereits laufende Programme erfolgten in der Regel auf Veranlassung des zentralen Parteiapparates in Berlin.
Die bekanntesten Kabaretts der DDR sind die bereits Anfang der 1950er Jahre gegründete Berliner „Distel“ (Oktober 1953) und die „Leipziger Pfeffermühle“ (Februar 1954) sowie die in Dresden im Frühjahr 1961 aus dem ehemaligen „Herkuleskeulchen“ (Januar 1955) hervorgegangene „Herkuleskeule“. Während die „Distel“ und die „Pfeffermühle“ von Beginn an erfolgreich agierten, musste sich die „Herkuleskeule“ ihr Publikum erst mühselig erarbeiten. Im Unterschied zu Berlin und Leipzig gab es in Dresden wie auch in anderen Städten keine Kabaretttradition.
Wie das gesamte kulturelle Leben in der DDR unterlagen auch die Kabaretts den meist durch politische Ereignisse hervorgerufenen Schwankungen. Den kulturpolitisch dogmatischen Jahren nach Gründung der DDR folgten die von Lockerungen und inhaltlicher Freizügigkeit geprägten Jahre des „weltpolitischen Tauwetters“ nach Stalins Tod. So sorgte die „Leipziger Pfeffermühle“ im Sommer 1956 mit ihrem Programm „Rührt Euch“ für großes Aufsehen. Es war vor allem Conny Reinhold, der als Leiter, Autor, Regisseur und Schauspieler mit seinem Ensemble das Publikum mit „Im Namen der freien Meinung: RÜHRT EUCH!“ zu einem Aufbruch aus der Erstarrung der Stalinzeit aufrief.
Nach einem überaus erfolgreichen Gastspiel in Berlin engagierte ihn „Distel“-Direktor Erich Brehm kurzerhand für sein Ensemble. Doch noch im Dezember kam es auf der Leipziger Kabarettbühne zu einem Eklat. Die Leipziger SED-Führung schickte als Zuschauer getarnte Funktionäre und Mitglieder der Betriebskampfgruppen in die 70. Vorstellung. Diese störten das Programm mit lauten Zwischenrufen, hinderten Reinhold beim Vortrag seines Zeitungs-Couplets, erzwangen den Abbruch der Vorstellung und schließlich die Absetzung des Programms.
Nicht ganz so ruppig ging es in Berlin zu. Das von Direktor Brehm für Februar 1958 geplante Programm „Beim Barte des Proleten“ musste noch vor der Premiere stark verändert werden und konnte erst Monate später unter neuem Titel auf die Bühne.
Unter neuer Leitung gelang es den Kabarettisten in Berlin und Leipzig in Verbindung mit den nach dem Bau der Mauer 1961 erneut einsetzenden kulturpolitischen Lockerungen, künstlerisch hochwertiges und politisch durchaus brisantes Kabarett zu machen. Die Ernüchterung folgte wenige Jahre später – der „Pfeffermühle“ wurde 1964 das Programm „Woll’n wir doch mal ehrlich sein“ verboten und die „Distel“ 1965 auf dem „Kahlschlag-Plenum“ von Walter Ulbricht persönlich heftig attackiert. Erst dessen Ablösung durch Erich Honecker im Frühjahr 1971 führte in der DDR, auch befördert durch ihre neue Rolle auf internationaler Bühne (Aufnahme in die UNO, Grundlagenvertrag mit der BRD, weltweite internationale Anerkennung) zu einem erneuten kulturellen Aufschwung.
Auch für das Kabarett begann eine Hochkonjunktur. Mit der von der neuen Parteiführung verkündeten „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“ stand von nun an die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung im Mittelpunkt der Politik. Neben einer Reihe von sozialpolitischen Maßnahmen zur Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung wurde jetzt ebenfalls das kulturelle Leben gefördert.
Nachdem sich bereits im Herbst 1967 in Halle kabarettinteressierte Schauspieler zum Kabarett „Die Kiebitzensteiner“ zusammengefunden hatten, bildeten sich jetzt eine Vielzahl neuer Berufsensembles. So gründete sich in Gera 1973 das „Fettnäppchen“. In Frankfurt an der Oder entstanden „Die Oderhähne“ (1976), in Potsdam der „Obelisk“ (1978), in Erfurt „Die Arche“ (1979) und in Magdeburg „Die Kugelblitze“ (1983).
Auch zwei Amateurkabaretts nutzten die Gunst der Stunde. Das Leipziger Studentenkabarett „academixer“ erhielt 1977 den Berufsstatus. Sechs Jahre später schafften diesen Sprung „Die Lachkartenstanzer“ vom VEB Robotron in Karl-Marx-Stadt (seit 1991 „1. Chemnitzer Kabarett“). Darüber hinaus gab es in den 1980er Jahren an einigen Theatern kleine, eigenständig agierende Kabarettgruppen, wie beispielsweise die „Umweltschützer“ am Volkstheater Rostock.
Neben all diesen sehr erfolgreich agierenden, stets ausverkauften Ensembles muss auf eine weitere Kabarettbesonderheit in der DDR verwiesen werden: „Die Kneifzange“, ein professionell betriebenes Kabarett in der Nationalen Volksarmee. Aus dieser bereits im August 1955 zunächst als „Satirisches Kabarett der Deutschen Grenzpolizei“ gegründeten Gruppe sind im Verlaufe der Jahre einige Kabarettisten hervorgegangen, die später zu tragenden Ensemblemitgliedern in der „Distel“ und „Pfeffermühle“ wurden.
Mit Ausnahme der „Kneifzange“, die sich kurz nach Integration der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr 1990 auflöste, haben alle genannten staatlichen Berufskabaretts die Wendezeit überstanden und spielen seither in privater Trägerschaft mehr oder minder erfolgreich in ihren jeweiligen Städten.
Mit der „Bernburger Sammlung“ existiert im Deutschen Kabarettarchiv, Standort Bernburg, umfangreiches Material in Form von Texten, Fotos, Plakaten, Audio, Videos, Presseberichten zu nahezu allen Berufs- und Amateurkabaretts sowie zu den dort als Schauspieler, Autor, Regisseur, Bühnenbildner agierenden Kabarettisten. Zahlreiche Dokumente zur Leitungs- und Verwaltungsarbeit in den Kabaretts sowie zur Tätigkeit der Partei‑, Staats- und Sicherheitsorgane in Verbindung mit Humor und Satire ergänzen die Sammlung. Die weitere Aufarbeitung des DDR-Kabaretts mit seiner künstlerischen Vielfalt und politisch-satirischen Widersprüchlichkeit ist eine durchaus lohnenswerte Aufgabe für Wissenschaft und Publizistik.
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