Zum 120. Geburts­tag von Erich Kästner

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Gene­ra­tio­nen von Kindern sind mit seinen Büchern aufge­wach­sen und beglei­te­ten Emil und seine Detek­tive und das doppelte Lott­chen bei ihren Aben­teu­ern. Doch war er nicht nur Kinder­buch­au­tor, sondern auch Publi­zist und Dreh­buch­au­tor, und als Kaba­rett­dich­ter kriti­scher Beob­ach­ter seiner Zeit.

2004 wurde sein “Stern der Satire”, als einer der ersten, auf dem Romano-Guar­dini-Platz in Mainz enthüllt. Zu seinem 120. Geburts­tag geden­ken wir seiner mit dem Gedicht Entwick­lung der Menscheit

Entwick­lung der Menschheit

 

Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt,
behaart und mit böser Visage.
Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt
und die Welt asphal­tiert und aufgestockt,
bis zur drei­ßigs­ten Etage.

 

Da saßen sie nun, den Flöhen entflohn,
in zentral­ge­heiz­ten Räumen.
Da sitzen sie nun am Telefon.
Und es herrscht noch genau derselbe Ton
wie seiner­zeit auf den Bäumen.

 

Sie hören weit. Sie sehen fern.
Sie sind mit dem Weltall in Fühlung.
Sie putzen die Zähne. Sie atmen modern.
Die Erde ist ein gebil­de­ter Stern
mit sehr viel Wasserspülung.

 

Sie schie­ßen die Brief­schaf­ten durch ein Rohr.
Sie jagen und züchten Mikroben.
Sie versehn die Natur mit allem Komfort.
Sie fliegen steil in den Himmel empor
und bleiben zwei Wochen oben.

 

Was ihre Verdau­ung übrigläßt,
das verar­bei­ten sie zu Watte.
Sie spalten Atome. Sie heilen Inzest.
Und sie stellen durch Stil­un­ter­su­chun­gen fest,
daß Cäsar Platt­füße hatte.

 

So haben sie mit dem Kopf und dem Mund
Den Fort­schritt der Mensch­heit geschaffen.
Doch davon mal abge­se­hen und
bei Lichte betrach­tet sind sie im Grund
noch immer die alten Affen.

 

Erich Kästner (1932)