Einer, der Lust auf Lyrik und Malerei macht

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von Jan-Geert Wolff

25. März 2022. Veranstaltungen im Deut­schen Kabarett­archiv haben einen ganz eigenen Charme. Sie sind auch, sicher­lich zum Leid­we­sen des Veran­stal­ters, vor allem nicht über­lau­fen, so dass der Gast – an diesem Abend ist es der Poet Marco Tschirpke – die „Bildungs­elite von Mainz“ begrüßt. Nun, die ist hoffent­lich doch ein biss­chen größer.

Tschirpke erhielt 2018 schräg gegen­über im Unter­haus den Deut­schen Klein­kunst­preis. Die Jury meinte damals, er mache „einfach Lust auf Lyrik“. Und ja, dieser „Musik­poet, der das Publi­kum mit raffi­niert verton­ten Texten faszi­niert“, so die Juroren weiter, tut dies auch während seines Gast­spiels im Kabarett­archiv. Dem Abend ist dabei etwas ange­nehm Archai­sches, Impro­vi­sier­tes eigen: Tschirpke hat zwar eine Marsch­rich­tung – anläss­lich der aktu­el­len Ausstel­lung „Kaba­rett ± Malerei ± Meer“ widmet er sich der Kunst und schlen­dert durch Museen –, doch er nutzt jede Art der Ablen­kung, jede Ecke, jeden Umweg. Dadurch erhält die Darbie­tung etwas erfri­schend Lebendiges.

Glück­li­cher­weise hat Tschirpke schon einiges über die Kunst gedich­tet. Über allem hängt sozu­sa­gen ein genia­ler Vier­zei­ler: „Vor ‘nem schwar­zen Viereck / stehend, denk‘ ich mild: / Nur weils an der Wand hängt, ist es noch kein Bild.“ Mit derart reali­täts­na­her Respekt­lo­sig­keit nähert sich der Poet nun flämi­schen Blumen­still­le­ben, die Buketts aus Pflan­zen zeigen, die niemals zugleich in einer Vase stehen können, weil sie zu verschie­de­nen Zeiten blühen. Er rezi­tiert Gedichte über Picasso, eine antike Amphore, über Cranach und andere alte Meister.

Tschirpke weiß, worüber er spricht, wenn er erläu­tert, dass die Tiefen­schärfe bei den alten Meis­tern viel größer war, weil diese ihre Farben noch selber herstell­ten und nicht wie heute aus dem Künst­ler­be­darf bezie­hen konnten. Seine Dozen­tur würzt er immer wieder mit ein paar Versen und erin­nert dabei erneut an den großen Heinz Erhardt, der sich auch auf alles einen Reim machen konnte. Tschirp­kes Humor geht jedoch tiefer, ist auf ganz eigene Weise anrüh­rend: Als Beispiel moder­ner Kunst führt er die Bilder seines Nach­wuch­ses an – einen nach den Sternen schnap­pen­den Dino­sau­rier, der nach Worten des Filius‘ „die Nacht frisst“. Das ist einfach wunder­bar und so noncha­lant Tschirpke es im Versmaß vorträgt, nimmt das Geschil­derte vor dem inneren Auge ergrei­fend Gestalt an.

Schlicht bezau­bernd ist dieser Umgang mit der Sprache: geschmack­voll und hinter­sin­nig reimend, verspielt und doch über­ra­schend fokus­siert, mal unter­halt­sam, mal nach­denk­lich. Der legere Vortrag des Künst­lers tut sein Übriges: spontan, etwas verpeilt, dabei selbst­iro­nisch und somit einfach sympa­thisch. Hier stellt der Dichter sein Licht unter den Schef­fel, um den Schein auf die Schön­heit der Sprache, die Eleganz von Reim und Versmaß zu fokus­sie­ren. Damit wird jedes Poem zum Ereig­nis: über Bilder in Hotels, den Zyklo­pen, der mit einem blauen Auge davon­kam, von Käthe Koll­witz von Kohle gezeich­nete Menschen und jene, die heute so durch die nach der Malerin benannte Straße am Prenz­lauer Berg lust­wan­deln – zuwei­len braucht es eine Sekunde, bis die Pointe umso wucht­vol­ler einschlägt.

Der Abend im Kabarett­archiv hält noch eine kleine Über­ra­schung parat: Marco Tschirpke parliert nicht nur als Pianist, sondern schlägt auch die Saiten – in diesem Fall die eines Archi­vals, der Origi­nal­gi­tarre von Scho­bert & Bläck, die der gelernte Musi­ka­li­en­händ­ler neu besai­tet hat und nun spielt. Dann wieder am Klavier präsen­tiert er einen Song aus seinem kirchen­kri­ti­schen Musical „Ketz“. Lieder und Gedichte Tschirp­kes sind eigent­lich immer auch selbst kleine, inspi­rie­rend aus dem Rahmen fallende Bilder – und so schließt sich der vom Dichter gesprengte Kreis des Konzepts auf höchst kunst­volle Weise.

Proben­si­tua­tion. Hält die Gitarre? Mittels ein paar Hand­grif­fen, einer Zange, einem Nylon­fa­den und dann frisch gestimmt war die Gitarre aus den 1970er Jahren der deut­schen Lieder­ma­cher Scho­bert & Black wieder spielbereit.

Bei der Präsen­ta­tion des farben­fro­hen Still­le­bens mit Text­col­lage aus verschie­de­nen offi­zi­el­len Muse­ums­füh­run­gen handelte es sich über­ra­schen­der­weise nicht um “Alte Meister”, sondern um das Werk von Frau Waejane Chen-Tschirpke.